
Es gibt verschiedene grundlegende Botschaften an Kinder, nach denen man unterscheiden kann. Sehr häufig sind sie nicht so eindeutig, wie es unser Verstand gerne hätte. Jedoch wissen die meisten Menschen über 30, mit welcher der elterlichen Botschaften sie noch immer zu kämpfen haben.
Negativ-Botschaften in der Kindheit
Die meisten Kinder haben ein feines Gespür für ihr Umfeld, und wenn es sich ungewollt fühlt, fehlt ihm die Erlaubnis, wirklich im Leben zu sein, wirklich daran teilzuhaben. In der Folge fühlen sich auch die späteren Erwachsenen immer irgendwie ungewollt, fehl am Platz. Nicht immer werden diese vernichtenden Mitteilungen direkt und klar formuliert. Sie sind häufig versteckt, geschehen eher durch Gesten und Blicke oder eben verbaler Abwertung des Seins oder der Leistungen des Kindes.
Hat z.B. die Mutter eine Abtreibung versucht, das Kind erst mal im Heim abgegeben oder es zur Adoption abgegeben, ist dies aus der Sicht des Kindes meist eine lebenslange Bürde. Das kann sich auch äussern durch frühes "Abstossen" des Kindes, der Forderung die Eltern nicht mehr zu belasten, endlich auf eigenen Beinen zu stehen, und dabei wird noch nach aussen so getan, als wolle man nur das Beste für sein Kind. Oft erleben solche Kinder, wie ihre Eltern vor anderen in einer Weise über es sprechen, die deutlich macht, dass es besser nicht da wäre.
Manche Eltern formulierten es auch schonungslos:
- Eigentlich wollten wir keine Kind mehr.
- Du warst ein Unfall.
- Ohne Dich hätte ich ein besseres Leben/ eine bessere Ausbildung/ einen besseren Beruf.
- Deine Geburt war schrecklich/ hat mich für immer traumatisiert/ hätte mich fast umgebracht.
Die Botschaft dahinter ist jedoch deutlich. Gerade wenn es schwierig wird, die Eltern zur Aggression neigen oder häufig drohten:
- Wenn Du tust was ich nicht will, jage ich Dich davon/ enterbe ich Dich/ schlage oder bestrafe ich Dich.
- Hau ab, sonst weiss ich nicht, was ich tue.
- Gehe mir aus den Augen, ich kann Dich nicht mehr ertragen.
- Warte, wenn ich Dich kriege, dann passiert Dir Fürchterliches (Androhung und Durchführung von Schlägen und Strafe).
Lieblose oder gleichgültige Eltern
Leider heute häufiger denn je zu vor und fast noch schlimmer, ist die völlige Gleichgültigkeit der Eltern am Leben, Lieben und Leiden ihres Kindes, also wenn Kinder einfach machen können, was sie wollen, ohne dass irgendwie reagiert wird. Es erfolgt nicht einmal eine Reaktion auf gute Leistungen, weil die ja selbstverständlich sind.
Jedes Kind braucht Zuwendung von seinen Eltern und seinem Umfeld. Wird dieses wichtigste Grundbedürfnis nicht erfüllt, dann sterben Kinder, dies wurde grausamerweise im KZ erprobt, als Mengele Pflegerinnen anwies, die ihren Müttern weggenommenen Säuglinge körperlich bestens zu versorgen, jedoch jegliche Form von Zuwendung zu unterlassen. All diese Kinder sind gestorben.
All die die überlebten haben zwar genug bekommen, um zu überleben, aber das was fehlte, was machen Sie damit? Darum geht es in der Therapie, wenn die Probleme von damals heute in den Beruf, die Familie, die Beziehungen überschwappen!
Selbst schuld?
Leider tendieren Kinder dazu, mehr Verantwortung zu übernehmen, als gut für sie ist. Sie wollen damit völlig unbewusst ihre Eltern entlasten, um so besser zu überleben. Sie geben sich dann selbst die Schuld z.B. für die Trennung oder das Unglück der Eltern. Gerade Kinder aus früh geschiedenen Ehen oder Kinder, die sehr früh einen Elternteil verloren hegen solche Gedanken, ohne es noch zu erinnern.
Manchmal passiert es sogar, wenn man einem Kind sagte, wenn es nicht brav sei, passiere Schlimmes, und dann passiert etwas in der Familie, dass ein Kind für immer denkt, es sei schuld am Tod oder der Krankheit eines geliebten Menschen. Und leider geschieht so etwas auch in sonst eher zugewandten Familien. Kinder die sich ungeliebt oder ungewollt fühlen, entwickeln je nach ihrem Umfeld und ihrem Charakter unbewusst unterschiedlichste Möglichkeiten, damit umzugehen. Hier geht es um die Kinder, die die Botschaft geschluckt haben.
Kindliche Reaktionen
Gefallsucht
Ein Kind, das sich von Anfang an nicht als gut genug erlebt, versucht oft unentwegt, dagegen vorzugehen. Z.B. entwickeln solche Kinder häufig eine besonders charmante Persönlichkeit, werden zu "People Pleasern" oder "Everybody‘s Darling" zu werden und stelle IMMER die anderen über sich. Das hat später leider zur Folge, dass sein Selbstwert - und das ist völlig unbewusst - vollkommen abhängig von Zuwendung und Wohlwollen seiner Mitmenschen abhängt. Ständig wird auf eigene Bedürfnisse wegen Anderer verzichtet, nur damit man immer gemocht wird. Das geht bei vielen so weit, dass sie ihre eigenen Bedürfnisse gar nicht mehr wahrnehmen können.
Über die Unfähigkeit, Anerkennung anzunehmen und den Übererfüllungszwang
Tragischerweise haben Menschen mit einem negativen Selbstbild die grössten Schwierigkeiten, Lob und Anerkennung anzunehmen. Oft hören sie es nicht, wenn sie anerkannt werden, oder sie spielen es selbst herunter. Oder, ganz perfide, wähnen sie insgeheim, dass der oder die Lobende sie mit der Anerkennung nur manipulieren wollen. Es gäbe an einem so selbstverständlichen Verhalten schließlich nichts, was es zu loben gäbe. Sie funktionieren nach dem Prinzip "self-fullfiling prophecy": sie beweisen sich ihr Negativ urteil ständig selbst.
Gerade weil sie unentwegt ihrer eigenen Minderwertigkeit durch Überkompensation zu begegnen versuchen, besonders perfektionistisch sind, sich selbst keine Fehler erlauben, jede Aufgabe übererfüllen, sorgen sie so dafür, andere von sich wegzutreiben. Sie kennen ihr richtiges Maß nicht, wissen nicht, wann sie es gut genug sein lassen. Das Pareto Prinzip (80 % sind meist gut genug) ist ihnen unverständlich. Sie zwingen andere regelrecht dazu, ständig "nein" zu ihren Angeboten zu sagen, und sind dann beleidigt und haben recht: man will sie einfach nicht so, wie sie sind. Ein tragisches und fürchterliches Ergebnis der fehlenden Zuwendung ist also die Überzeugung: wenn ich nicht perfekt und fehlerfrei bin, bin ich nicht liebenswert!
Ihr Selbstwert ist viel zu eng mit ihrer Leistung verknüpft. Und viele der Burnout-Patienten in meiner Praxis haben genau hier begonnen, sie bewiesen ihren Wert durch Leistung und haben genau deshalb niemals die Liebe annehmen können, die sie sich am meisten wünschen: Geliebt zu werden für die kleinen Imperfektionen, die einem wirklich ausmachen.
Das Problem mit echter Nähe
Häufiger Partnerwechsel
Häufig haben solche Menschen häufig wechselnde Partner und vermeiden so eine zu tief gehende Bindung und die damit einhergehende Nähe.
Selbstvernichtung
Sie folgen der schrecklichen inneren Botschaft verbittert und aussichtslos und ziehen sich Stück für Stück oder auf einen Schlag selbst aus ihrem Leben. Sei es durch Arbeitssucht, risikoreiche Extremsportarten, extrem aggressivem Fahrstil, Alkohol- und/oder Drogenmissbrauch, bis hin zum Suizid. Und häufig genug malen sie sich vorher aus, wie sich die nun endlich bestraften Anderen auf der Beerdigung winden und bereuen, wenn sie endlich erkennen, wie wertvoll der Betroffene wirklich war.
Trotz
Und dann hätten wir da noch den Trotz und die Rebellion. Hat ein Mensch erst einmal verinnerlicht, dass negative Zuwendung wesentlich besser ist, als gar keine Zuwendung, dann wird er auch das weiterführen und auch so seine Einsamkeit immer weiter verstärken. Ich erlebte einmal eine Patientin, die nur Kritik als Zuwendung kannte und die bis heute selbst den liebevollsten Menschen in ihrem Umfeld vertreibt, weil sie nicht anders kann, als ihm jeden noch so kleinen Fehler vorzuhalten. Sie musste.
Bei manchen sind es nur Wutausbrüche oder Schwierigkeiten, geltende Regeln einzuhalten. Häufig ziehen diese Menschen dann Partner an, die ähnliche Themen haben, jähzornig sind, oder sich gnadenlos anpassen, wenn es einmal schwierig wird. Ich stelle immer wieder fasziniert fest, dass sich meist Paare zusammen finden, die mehr oder weniger das gleiche „Kernthema“ gemeinsam haben, jedoch völlig unterschiedliche Lösungswege entwickelten. Das ist anfangs sehr faszinierend, führt jedoch später häufig zu den massivsten Konflikten.
Im schlimmsten Falle kann dieser Trotz sogar dazu führen, dass Betroffene jede Form von Regel oder Gesetz versuchen zu übertreten, gemeinsam kriminell werden und so ihren Kindern die lieblose Kindheit antun, die sie selbst erlebten.
Kompensation
Während beim ursprünglich positiven Mutterkomplex die Ausstoßung und Abnabelung aus der Mutterkomplexatmosphäre die Schwierigkeit darstellen, hat beim ursprünglich negativen Mutterkmplex nie eine echte Abnabelung stattgefunden. Stattdessen dominieren die Impulse des Ausstoßens und Wegstoßens.
Der Weg, sich die eigene Daseinsberechtigung zu erkämpfen, führt über innere Leitlinien bzw. Antreiber, an denen man versucht, das eigene Leben auszurichten. Die Klassiker sind dabei:
- Es allen recht zu machen und möglichst nie jemanden zu enttäuschen.
- Immer stark zu sein und möglichst nie jemanden zu brauchen.
- Immer alles perfekt und möglichst nie einen Fehler zu machen.
- Es sich immer schwer und möglichst nie einfach zu machen. (Was leicht und ohne Blut, Schweiß und Tränen erreicht wurde, hat keinen Wert)
- Sich immer zu beeilen; immer mehr als andere in der gleichen Zeit zu schaffen und immer irgendwie beschäftigt zu sein.
Ein gemeinsames Merkmal dieser Kommpensationsstrategien, mit denen das eigene Selbstwertgefühl über eine Steigerung unserer Bequemlichkeit und Nützlichkeit für andere gehoben werden soll, ist, dass wir dabei kein Maß kennen. Wir können nicht sagen, wann genug auch wirklich genug ist. Wir spüren unsere Grenzen dabei nicht und haben keine alternativen Verhaltensweisen in unserem mentalen Werkzeugkasten.
Im Gegenteil. Bleiben wir einmal hinter unseren überzogenen Selbstansprüchen zurück, versursacht uns das Stress. Dieser Stress wird schnell existenziell erlebt, denn schließlich hängt ja unsere gesamte gefühlte Daseinsberechtigung an der Erfüllung dieser Handlungsmaximen.
Vom Verstand her wissen wir meist, dass wir übertreiben und sicher nicht unser ganzes Leben den Bach runtergeht, nur weil wir in unserer Mail für den Vorstand einen kleinen Kommafehler übersehen haben oder zu unserem blöden Nachbarn einmal nicht scheiß-freundlich sondern nur normal-freundlich waren. Dieses Wissen bewirkt jedoch wenn überhaupt dann nur, dass wir uns noch schlechter fühlen, denn wir sind es gewohnt, uns permanent abzuwerten und behandeln uns damit heute selbst so, wie man früher uns behandelt hat.
Dann heißt es eher "Wie dumm bin ich eigentlich? Ich hab's doch kapiert. Warum mache ich es dann immer wieder?" Die Antwort ist einfach. Dort, wo diese Muster im Hirn sitzen, kann weder Einsicht noch Sprache adäquat verarbeitet werden. Das ist einer der Gründe, warum es bei manchen Themen mit Coaching- oder Therapieverfahren, die rein über das Gespräch und die Einsicht arbeiten, nicht über einen gewissen Abgrund drüber geht.
Die Hirnbereiche im so genannten limbischen System des Gehirns benötigen andere Reize als Sprache und Einsicht alleine, um die natürlichen Verarbeitungsmechanismen anzuregen, die diese emotionalen Themen angehen können. Zu den bestens dokumentierten und erprobten Verfahren, die sich hier sehr bewährt haben, gehört beispielsweise das EMDR.
Das Thema "Liebe bzw. Anerkennung für Leistung" haben Menschen, die von einem ursprünglich negativen Mutterkomplex geprägt sind, übrigens mit jenen gemein, die unter dem Einfluss eines ursprünglich positiven Vaterkomplexes stehen. Der Unterschied ist hier unter anderem, dass beim u. p. Vaterkomplex eine Erfüllung der Kriterien erreichbar und Anerkennung möglich ist. Kinder mit einem u. n. Mutterkomplex haben nie eine Chance gehabt, es ihrer Mutter recht zu machen.
Trotzdem schaffen es viele der betroffenen Kinder / Frauen irgendwann, sich kleine Nischen zu erobern, in denen sie Erfolgserlebnisse sammeln und die ihnen ein gewisses Maß an Selbstwertgefühl gestatten. Meistens haben auch diese Nischen etwas mit Leistungen im allgemeinen Sinne zu tun und so ist es nicht weiter verwunderlich, dass viele später zu den Spitzenleistern zählen. Besonders im Job natürlich.
Tragisch daran ist, dass unsere Leistungsgesellschaft viele dieser oft durch Selbstaufopferung errungenen "Siege" auch noch wie blöd abfeiern und somit die Betroffenen in ihrem eingeschlagenen Weg bestärken, der zwar mit Belohnungsgefühlen einhergeht, sie gleichzeitig aber auch aufzehrt, weil sie permanent über ihre Grenzen gehen, ohne es zu spüren.
Natürlich gibt es zum Glück nicht ganz so viele sadistische Mütter, die ihre Kinder mit Absicht derart emotional missbrauchen. Der häufigere Fall sind vollkommen überforderte Mütter, die zutiefst in ihren eigenen Problemen gefangen sind und nicht selten selbst unter dem Einfluss negativer Elternkomplexe aufwachsen mussten oder aus anderen Gründen keine emotionale Bindung zu ihrem Kind aufgebaut haben.
Ein möglicher Grund hierfür, der immer noch mit starken gesellschaftlichen Tabus belegt ist, sind Mütter, die ihre Kinder nicht lieben können, was häufig in Zusammenhang mit einer Minderproduktion des "Bindungshormons" Oxytocin gebracht wird.
Erwähnt werden sollte noch, dass ein Mutterkomplex, egal welcher Art, nicht ausschließlich über die leibliche Mutter geprägt werden kann. Heute spricht man eher von einem "Mutterfeld", denn auch Väter, große Geschwister, Onkel und Tanten und manchmal sogar Nachbarn oder gute Freunde der Familie können mütterliche Qualitäten besitzen und dem Kind "Mütterliches" zukommen lassen. Hoffentlich im guten Sinne.
Natürlich schildere ich auch hier wieder einen stark vereinfachten, etwas einseitigen, archetypischen und verallgemeinerten Fall, um ein paar Punkte herauszuarbeiten. Auch hier möge das Folgende bitte nicht als Stigmatisierung empfunden werden, nach dem Motto "Oh, Deine Mutter war gemein zu Dir? Dann driftest Du bald in den Burnout und hast viele oberflächliche Sexualkontakte. So eine bist Du also!" Das wäre völliger Blödsinn und sicher nicht in meinem Sinne.
In der jungschen Psychologie unterscheidet man hier wie folgt:
1. Betrifft es einen Mann oder eine Frau?
2. Besteht das Problem mit einem Elternteil, und wenn ja, mit welchem?
3. Hatten Sie Probleme mit beiden Elternteilen und wenn ja, unterschieden sie sich?
Probleme von Frauen mit ihrer Mutter (der negative weibliche Mutterkomplex)
Beginnen wir also mit der problematischen weiblichen Seite, also Frauen, die sich von Ihrer Mutter (manchmal auch Großmutter/Tante) sehr häufig kritisiert, korrigiert, abgelehnt, verbessert, ungewollt, bestraft, aggressiv odgl. behandelt oder verlassen fühlten, sei dies nun offen oder versteckt gezeigt worden, haben Selbstwertprobleme. Sie fühlten sich unerwünscht, so wie sie sind. Solche Botschaften können z.B. sein:
- Ich hätte Dich abtreiben sollen.
- Du bist schuld, dass ich so unglücklich bin.
- Nur wegen Dir musste ich heiraten/ Du hast mir mit Deiner Existenz mein Leben verdorben.
- Du bist dumm/ faul/ unfähig/ häßlich/ zu fett ... etc.
- Ständige missbilligende Blicke
- Überzogene Erwartungen und Beschimpfungen bei fehlendem Erfolg
- Ständige Unzufriedenheit
- Völlige Gleichgültigkeit
Man nennt solche Botschaften auch "Bann-Botschaften", betroffene Frauen fühlen sich fehl am Platz, als sollten sie gar nicht am Leben sein.
Kindheit
Kinder sind völlig darauf angewiesen, es ihren Eltern recht zu machen. Ganz gleich, wie sehr sie auch scheinbar rebellieren, unterschwellig haben sie ein ganz besonders feines Gespür dafür, wie weit sie gehen können, bevor es knallt. Hat die Mutter jedoch ein Problem mit ihrer Mutterschaft, vielleicht sogar weil sie selbst eine lieblose, kranke oder zu früh verstorbene Mutter hatte, dann hat so ein bedauernswertes Kind nie wirklich eine Chance, sich zu entfalten.
Natürlich versucht das kleine Mädchen, die Regeln der Mutter zu entschlüsseln, um herauszufinden, wie sie etwas mehr Wohlwollen oder wenigstens etwas weniger Kritik und Abwertung bekommt, es versucht also zu kompensieren, um sich so ihre Daseinsberechtigung zu verschaffen. Das ist ein Urbedürfnis und das anpassende Verhalten des Kindes dient seinem Überlebenswillen und ist somit ein Zeichen von Intelligenz. Doch es hat seinen Preis!
Die Frau mit negativem Mutterkomplex in Beruf und Alltag
Wie bereits erwähnt, findet man viele Frauen mit ursprünglich negativem Mutterkomplex in Führungsetagen bzw. bei den so genannten "Over achievern", also denen, die Leistungen über das normale Maß hinaus erbringen. Innere Leitlinien à la "Ich will immer perfekt sein" oder "Ich gehe immer den schweren Weg" prädestinieren geradezu für ein Leben auf der Überholspur. Besonders natürlich, wenn daran die empfundene Daseinsberechtigung geknüpft ist.
Das aus diesen Leistungen erzielte Maß an Befriedigung und Selbstachtung reicht aber meist gerade so zum Leben und wird von den Betroffenen selbst oft eher als gewöhnlich erlebt. Es ist halt nie genug. Und vor allem hätte man immer noch besser sein können. Dieser permanente Wille zur Leistung und zum "Mehr" in Verbindung mit dem mangelnden Gespür für die eigenen Grenzen und die empfundene Alternativlosigkeit des eingeschlagenen Weges führen natürlich früher oder später nicht wenige in den Burnout.
Davor wird aber oft noch eine ganze Zeit versucht, die schwindende Leistungsfäigkeit mit allen möglichen Tricks aufrecht zu erhalten. Notfalls mit Chemie.
Bezeichnend ist auch, dass der Leistungsgedanke vor kaum einem Lebensbereich halt macht. Hobbys sind hier ein dankbares Umfeld. Natürlich reicht es nicht, im Volleyballverein zu sein. Man muss schon mindestens zu den Besten gehören. Und Yoga, das eigentlich der Entspannung und Gesundheit dienen soll, verkommt schnell zum Leistungssport, der eher zusätzlichen Stress erzeugt, als den bereits im Übermaß vorhandenen reduziert.
Die Frau mit negativem Mutterkomplex in der Beziehung
Beziehungen sind häufig dadurch geprägt, dass kein funktionierendes Modell für echte Nähe und Wärme verinnerlicht werden konnte. Zwar besteht irgendwo der tiefe Wunsch nach Verschmelzung mit einem Gegenüber. Gleichzeitig haben die Betroffenen aber oft keine Vorstellung, wie so etwas in der Praxis aussehen, geschweige denn, sich anfühlen könnte.
Nähe und Zuneigung wird häufig und über lange Zeit in erster Linie körperlich erlebt. Beim Sex kann hiervon ein gewisses Maß zugelassen werden. Doch auch hier schleicht sich schnell der Leistungsgedanke und der Wunsch, zu gefallen, mit ein. Häufig hört man Aussagen, dass die Anerkennung und Wertschätzung für eine "gute Performance" im Schlafzimmer durchaus genossen wird, wobei ihnen selbst der Sex darüber hinaus wenig gibt.
Werden einmal Gefühle zugelassen, wirken diese oft verwirrend und bedrohlich. Es bleibt eine gewisse Grundskepsis (Urmisstrauen).
- "Was stimmt denn mit dem anderen nicht, dass er mich mag?"
- "Der sagt nur solche netten Sachen, um mich in die Kiste zu kriegen!"
Darüber hinaus besteht oft ein subtiles Gefühl, dass einem der Andere irgendwann auf die Schliche kommen wird. Dass er bemerken könnte, dass man gar nicht so toll ist, wie er sich eigentlich dachte. Dass er sich geirrt hat. Da ist es naheliegend, diese Angst damit zu kompensieren, dass man sich eben noch mehr anstrengt. Nicht nur im Bett.
Bezeichnend sind viele eher oberflächliche Kontakte. Manchmal auch viele oberflächliche Sexualkontakte. Das ist nur allzu verständlich, wenn man bedenkt, dass ein gewisses Maß an Nähe oft nur hier zugelassen werden kann und gleichzeitig ein starkes unerfülltes Bedürfnis nach menschlicher Wärme (was auch immer das wohl sein mag) besteht.
Manchmal werden Beziehungen auch generell abgewehrt und man bleibt trotz größter Chancen auf dem Singlemarkt lieber alleine. Die Bandbreite ist hier groß. Gemeinsam ist, dass Nähe als schwierig erlebt wird und häufig Angst besetzt ist.
Die Wachstumskrise der Frau mit negativem Mutterkomplex
Die Krise wird hier, wie in den meisten anderen Fällen auch, dann ausgelöst, wenn die alten Kompensationsmechanismen nicht mehr wie gewohnt funktionieren. Im Falle des ursprünglich negativen Mutterkomplexes sind diese Auslöser meist eigene Zusammenbrüche aufgrund jahrelanger Überforderung und Nichtachtung der Grenzen der eigenen Leistungsfähigkeit.
Da die Betroffenen nur einen EIN- aber keinen AUS- Schalter besitzen, geht alles, was sie tun, an ihre Substanz. Yin und Yang sind bei ihnen nicht im Gleichgewicht. Es wird permanent mehr aus dem eigenen System entnommen, als regeneriert werden kann. Traurige Endstrecke sind häufig: Depression, Burnout und Artverwandtes.
Der andere Weg ist das Wegfallen von dem, was zuvor das Selbstwertgefühl stabilisiert hat, im Außen. Wenn die Nische beispielsweise der Profisport war und man nun zu alt geworden ist und aus der Mannschaft geschmissen wird. Viele Betroffene fallen dann ins Bodenlose.
Die Wachstumsherausforderung der Frau mit negativem Mutterkomplex
Der Weg aus einem ursprünglich negativen Mutterkomplex ist schwierig. Besonders für Frauen, denn von unserem gleichgeschlechtlichen Elternteil bekommen wir auch das Rollenmodell für unsere eigene Rolle als Angehöriger desselben Geschlechts. Das Lebensgefühl beim ursprünglich negativen Mutterkomplex ist geprägt von Urmisstrauen und Urangst.
Der Weg heraus ist komplex und hängt stark vom Einzelfall ab. Grundsätzlich gibt es viele emotionale Wunden zu versorgen. Mindestens genauso wichtig ist es im weiteren Verlauf, positive Gegenbeispiele als Rollenmodelle zu verinnerlichen, auf die in Zukunft zurückgegriffen werden kann. Darüber hinaus braucht es oft eine Reihe intensiver "antithetischer" Beziehungserfahrungen, die ebenfalls heilsame Beziehungserlebnisse und Verhaltensmodelle neben die alten destruktiven Erfahrungen stellen.
Lösungswege in der Therapie
Die Lösung beginnt mit dem Problem, das so groß ist, dass Betroffene - häufig nach Jahrzehnten im Hamsterrad - nach Hilfe suchen, um Hilfe BITTEN. Dieser erste Schritt ist absolut notwenig, erfolgt er nicht, ist es wie bei dem englischen Sprichwort:
Man kann ein Pferd zum Wasser führen
aber nicht zum Trinken zwingen
Dann führt der Weg erst einmal zurück in die Kindheit, um die hintergründigen und unbewussten Überzeugungen bewusst zu machen, bis sich der Betroffene schliesslich selbst die Erlaubnis gibt, zu existieren, zu sein wie er ist. Betroffene können in Therapie oder Coaching lernen, mit sich anders umzugehen, als man mit ihnen umging!
- Komplexe: Wie unsere Kindheitserfahrungen unser Leben prägen
- Abnabelung von den Eltern - Wie sie gelingt und worauf du achten solltest
- Warum wir uns wie unsere Eltern verhalten, obwohl wir alles anders machen wollten
- Positiver Mutterkomplex der Frau - Ich will für immer die Kleine bleiben
- Positiver Mutterkomplex des Mannes - Die Welt hat auf einen wie mich gewartet
- Negativer Mutterkomplex der Frau - Es wäre besser, wenn es mich gar nicht gäbe
- Negativer Mutterkomplex des Mannes - Ich bin schuld. Immer.
- Positiver Vaterkomplex der Frau - Männer sind einfach viel interessanter
- Positiver Vaterkomplex des Mannes - Stolz, ein Mann zu sein
- Negativer Vaterkomplex der Frau - Ich genüge nicht
- Negativer Vaterkomplex des Mannes
- Emotional erwachsen werden
Literatur:
- Verena Kast, "Vater-Töchter Mutter-Söhne - Wege zur eigenen Identität aus Vater- und Mutterkomplexen", Kreuz-Verlag, 5. Auflage der Neuausgabe 2005
- Colin C. Tipping, "Ich vergebe - Der radikale Abschied vom Opferdasein"jKamphausen Verlag, 11. Auflage 2010
- Alice Miller, "Am Anfang war Erziehung", Suhrkamp Taschenbuch Verlag, 1. Auflage 1983
- Clarisse Pinkola Estés, "Die Wolfsfrau - Die Kraft der weiblichen Urinstinkte", Heyne Verlag, 6. Auflage 1993